Splendor Solis

f. 19v, Hermaphrodit (Tafel 9)


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Die Miniatur zeigt in üppiger Landschaft einen geflügelten Hermaphroditen, ganz in schwarzes Tuch gekleidet: Er trägt spitze schwarze Schuhe und enge Beinkleider, darüber einen knielangen schwarzen Gehrock mit aufwendigen goldenen Borten und Applikationen. Aus dem weiten goldenen Halsausschnitt des Rockes ragen zwei Hälse und Köpfe, links ein männliches Haupt mit kurzem und rechts ein weibliches mit langem Haar. Beide Köpfe sind von je einer Strahlenaura umfangen – der männliche in Gold, der weibliche in Silber –, die die hieratische Herkunft des Hermaphroditen in gleicher Weise unterstreichen wie die beiden großen flauschigen Flügel am Rücken, links aus roten und rechts aus weißen Federn. Zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand hält der Herm­aphrodit ein weißes Ei, in seiner rechten Hand liegt eine große runde Scheibe. Deren Oberfläche besteht aus einem runden Feld in der Mitte, einem Spiegel möglicherweise, in dem eine Landschaft zu erkennen ist, sowie aus drei verschiedenfarbigen Ringen: außen ein flammender Reif in Orange und Gelb, nach innen folgend ein wolkiger Ring in Weiß und Grau sowie ganz innen, um die Landschaft gelegt, ein tiefes Blau.

Der Hermaphrodit stellt ein Grundsymbol der Alchemie dar, das in kaum einer Handschriftenillustration fehlt und die Vereinigung der Gegensätze bedeutet. In den drei Farben Schwarz, Weiß und Rot steht der Rebis (von lat. res bina, zwiefältige Sache) auch für das gesamte Werk der Alchemie, die in der Vereinigung der Polaritäten die Überwindung partikularer Zustände der Materie anstrebt. Dem zugehörigen Text zufolge gebären vereinte Gegensatzpaare, die der Maler im Hermaphroditen ins Bild setzt, vier Kinder: die vier Elemente der Natur – Erde, Wasser, Luft und Feuer –, aus deren Gesamtheit das fünfte Wesen entsteht, die Quintessenz. Dies erläutert der Text anhand eines Eis, eines weiteren zentralen Symbols der Alchemie, das die vier Elemente repräsentiert und aus dem das fünfte als junges Küken entschlüpft. Für die Darstellung der vier Elemente greift der Maler zusätzlich auf das Bild einer Weltenscheibe zurück, die im Inneren die Erde und in den drei Ringen das Wasser, die Luft und das Feuer zeigt.

Jörg Völlnagel
(Kunsthistoriker, Staatliche Museen zu Berlin)


f. 19v, Hermafrodita

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f. 19v, Hermaphrodit (Tafel 9)

Die Miniatur zeigt in üppiger Landschaft einen geflügelten Hermaphroditen, ganz in schwarzes Tuch gekleidet: Er trägt spitze schwarze Schuhe und enge Beinkleider, darüber einen knielangen schwarzen Gehrock mit aufwendigen goldenen Borten und Applikationen. Aus dem weiten goldenen Halsausschnitt des Rockes ragen zwei Hälse und Köpfe, links ein männliches Haupt mit kurzem und rechts ein weibliches mit langem Haar. Beide Köpfe sind von je einer Strahlenaura umfangen – der männliche in Gold, der weibliche in Silber –, die die hieratische Herkunft des Hermaphroditen in gleicher Weise unterstreichen wie die beiden großen flauschigen Flügel am Rücken, links aus roten und rechts aus weißen Federn. Zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand hält der Herm­aphrodit ein weißes Ei, in seiner rechten Hand liegt eine große runde Scheibe. Deren Oberfläche besteht aus einem runden Feld in der Mitte, einem Spiegel möglicherweise, in dem eine Landschaft zu erkennen ist, sowie aus drei verschiedenfarbigen Ringen: außen ein flammender Reif in Orange und Gelb, nach innen folgend ein wolkiger Ring in Weiß und Grau sowie ganz innen, um die Landschaft gelegt, ein tiefes Blau.

Der Hermaphrodit stellt ein Grundsymbol der Alchemie dar, das in kaum einer Handschriftenillustration fehlt und die Vereinigung der Gegensätze bedeutet. In den drei Farben Schwarz, Weiß und Rot steht der Rebis (von lat. res bina, zwiefältige Sache) auch für das gesamte Werk der Alchemie, die in der Vereinigung der Polaritäten die Überwindung partikularer Zustände der Materie anstrebt. Dem zugehörigen Text zufolge gebären vereinte Gegensatzpaare, die der Maler im Hermaphroditen ins Bild setzt, vier Kinder: die vier Elemente der Natur – Erde, Wasser, Luft und Feuer –, aus deren Gesamtheit das fünfte Wesen entsteht, die Quintessenz. Dies erläutert der Text anhand eines Eis, eines weiteren zentralen Symbols der Alchemie, das die vier Elemente repräsentiert und aus dem das fünfte als junges Küken entschlüpft. Für die Darstellung der vier Elemente greift der Maler zusätzlich auf das Bild einer Weltenscheibe zurück, die im Inneren die Erde und in den drei Ringen das Wasser, die Luft und das Feuer zeigt.

Jörg Völlnagel
(Kunsthistoriker, Staatliche Museen zu Berlin)


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